Lottas Puppenspiel

Lottas Puppenspiel

Langweiliger Liebhaber, dieser Werther, kommt nicht zur Sache, immer bloß wie er sich fühlt. In der Klassenarbeit drückt er sich gewählter aus, verteidigt jedoch seine Meinung.

Am Tag nach der Klausur passiert es zum ersten Mal. Er trabt zum Schulbus am Strandhof vorbei. Der Weg windet sich längs des alten Stallgebäudes, im Fenster stehen Barbiepuppen, staubüberzogen, wie aufgereiht zur Mädchengymnastik.

An diesem Morgen ist er den Puppen nicht gleichgültig. Schmelzende Blicke feuern sie durch die kühlen Scheiben. Er schlägt die Augen nieder. Am nächsten Tag dasselbe. Er tut es als Fantasie ab. Seine Sorgen beginnen, als es auch am dritten Tag weitergeht. Er meint zu spüren, daß sie ihre Hälse verrenken, um ihn mit den Augen zu verfolgen, ihre Blicke brennen auf der Haut.

Sein Kopf weiß, daß es ganz gewöhnliche Barbies sind, die sich in den Fensternischen langweilen. Man spricht darüber, daß der Stall schon so lange leer stehe, das Reetdach rotte vor sich hin. Die Puppen stammen aus einer anderen Zeit, vielleicht sieben, acht Jahre zurück. Als das Vieh noch da war und die Mädchen des Hofes zum moorigen Strand hinunter gesprungen kamen, um dort zu spielen.

Aus weiter Ferne sieht er eine blaßrosa Schleife, die mußte zu der Kleinen vom Strandhof gehören, mit der er einmal Knie an Knie in einer Kutsche zu sitzen kam, damals im Karussell. Dabei hatte er doch keine Lust auf Kutsche gehabt, das war etwas für Mädchen, aber man hatte sie einfach zusammengestopft. Warm war ihr Körper und ein Wiesenblumenduft umwehte sie.

Am Montag der neuen Woche tun es die Barbies nicht bloß mit den Augen. Sie gickeln wenn er kommt. Er schwört, solche Stimmchen schon einmal gehört zu haben, damals nach jener Kutschpartie, als die kleine Schwester des Karussellmädchens herbei hopste, fortwährend ?Lotta, Lotta? juchzend, während die größere auf sie einzwitscherte wie ein befreites Vöglein.

Der Dienstag zieht auf. Im Stallfenster hotten sie jetzt in einem frechen Rhythmus. Mit Bewegungen, die er sich nicht zu beschreiben getraut. Er hatte es kommen sehen. Er flieht vorbei. Im Bus malt er sich die Biegungen ihrer Puppenkörper aus. Am Mittwoch überfallen ihn frühmorgens Bilder einer Kutschpartie. Er meldet sich krank. Nach dem Abendbrot geht er noch einmal mit dem Hund hinaus, er brauchte dafür länger als üblich. Morgen würde er sich dem Ergebnis der Klausur stellen müssen.

In der Nacht zum Donnerstag wird die Feuerwehr zu einem Schwelbrand im alten Strandhof gerufen. Dem ersten Löschtrupp knallen schon Scherben um die Ohren und es hagelt Rümpfe, Köpfe und Glieder von Plastikpuppen, dann heult es auf im Dachstuhl.


© hertz