Durchs gläserne Meer

Durchs gläserne Meer

Er studierte die geheime Offenbarung, dann wartete er auf den Menschensohn, der mit den Wolken kommen soll. Als ich Jasper kennenlernte, lebte er bei seinen Eltern, verfaßte Flugblätter. Auf ihnen stand, was er glaubte. Seine Eltern glaubten das nicht. Jasper zog aus.

Ich sehe ihn als Schuhmacher wieder. Er hat einen kleinen Laden gemietet, macht Reparaturen. Wenn er an der Nähmaschine sitzt, summt er ein Lied vom gläsernen Meer, gerettet am Strand harfen sie Hymnen. Ganz nahe ist das alles  —  dort in der Werkstatt. Die Kunden glauben das nicht. Aber Jasper muß nicht ausziehen, denn seine Arbeit wird geschätzt.

Ich treffe ihn wieder nach zwei Jahren. Jasper ist Jasper. Einer kommt auf den Wolken auch für den armen Schuster  —  das bleibt der Schatz aller seiner Tage. Da sei noch etwas, sprudelt es aus ihm heraus: Eine Frau mit der er verheiratet ist, mit der er zwei Kinder gezeugt hat, sie ist
der Schatz vieler seiner Nächte. Sie sind in einer Freikirche der Pfingstler zu Hause. Jasper tut sein Bestes, um für die Familie zu sorgen, wenig genug kommt dabei herüber. Ich sehe ihn vor mir in in seinem Laden: Um Strom zu sparen ist er auf seinen Werktisch gekrochen unter das Souterrainfenster. Dort thront er im Schneidersitz, beugt er sich über's Leder und stichelt mit der Ahle, greift er zum Garn. Er habe manchmal Visionen und er könne Zungenreden, erzählt er. Die Kunden nehmen's offenbar gelassen hin, solange die Preise niedrig bleiben. Manche lächeln beim Bezahlen. Die Ärmsten kriegen auch mal ein Paar Sohlen geschenkt. Denn für den einen, der mit den Wolken kommt, würde er das genauso tun.

Beim nächsten Mal finde ich seine Werkstatt nicht mehr. Ich versuche es zu Hause. Seine Frau öffnet, verweint scheint ihr Gesicht, will
mich in die Lage einweihen, bevor Jasper kommt, obwohl wir uns nur flüchtig kennen: Sie erlebten gerade eine Zeit schwerer Prüfung. Aus dem Laden sei er raus, ab und an mache er noch ein paar Schuhe im Keller. Aus der Pfingstkirche auch raus. Doch die hohe fremde Sprache habe er mitgenommen. Als Jasper dazukommt, blickt er bohrend in meine Augen, sagt, die Zeit dränge, sie dränge, "Weißt du das?"

Bald danach lese ich, daß Jasper tot ist. Er soll es an den Nerven gehabt haben. Die Todesanzeige ist schlicht gehalten, zeigt oben ein Kreuz, darunter einen Bibelspruch, unten den Vornamen seiner Frau. Zeigt kein Paar Schuhe.


© hertz